Die Borgias
Skrupelloser Machtmissbrauch
Donnerstag, 03.04.2014 | 18:26
Die Familie Borgia ist seit nunmehr 500 Jahren im Gespräch. Zwischen diesen skrupellosen Machthabern und heutigen Diktatorenfamilien gibt es nicht wenige Parallelen.
Der schlechte Ruf der Familie Borgia hat sich mehr als fünfhundert Jahre lang erhalten. Die skrupellose Herrschsucht des Clans, der Missbrauch von Kirchenämtern für ein Familienunternehmen und die hemmungslos ausgelebte Sexualität der Borgias beschäftigten schon die Phantasie ihrer Zeitgenossen und gelten heute noch als Extremfälle von Sex und Crime in der Renaissance.
Wer die Aufzeichnungen der Zeitzeugen, auch aus der engsten Umgebung des Borgia-Papstes Alexander VI, studiert, stößt auf krasse Widersprüche. Gegenpropaganda und Gehässigkeit der Feinde transportierten alle Gerüchte der Stadt über Hurenpartys im Vatikan, Giftmorde auch an Verwandten, Plünderungen bei verstorbenen oder ermordeten Kardinälen und inzestuöse Beziehungen zwischen dem Papst und seiner Tochter Lucrezia und zwischen Lucrezia und ihrem Bruder Cesare.
Die Menschen in Italien, dessen Staaten damals der Mittelpunkt der Welt waren, glaubten über die Borgias alles, weil diese Familie viele Tabus gebrochen hatte. Auch Päpste vor Alexander VI hatten Kinder, tarnten sie aber als Neffen und Nichten und ließen sie in Scheinfamilien aufwachsen. Papst Alexander, der sieben Kinder von drei Frauen hatte, ließ im Gegensatz zu seinen Vorgängern einen Notar in den Vatikan kommen und seine Vaterschaft offiziell bestätigen.
Als Cesare 17 war, ernannte er ihn zum Erzbischof, mit 18 berief er ihn zum Kardinal. Schlimmer noch für den Klerus: weil er Cesare mit 23 als Herzog von Valencia besser benutzen konnte, ließ er ihn den roten Kardinalshut wieder zurückgeben. Ein einmaliger Skandal in der Kirche: Die Kardinalswürde galt lebenslänglich.
Dem Borgia-Papst waren diese Regeln egal. Er ernannte auch minderjährige Knaben zu Kardinälen, wenn sie in sein Familien-Netzwerk passten oder wenn er sich für Liebesdienste revanchieren wollte. Seiner offiziellen Geliebten Giulia Farnese, 44 Jahre jünger als seine Heiligkeit, tat er den Gefallen, auch ihren Bruder in die damals noch kleine Kardinalsrunde zu berufen. Familie ging ihm über alles. Vieles spricht dafür, dass er das Vorbild vieler Mafia-Paten war. Diese These vertritt vor allem der Bestseller-Autor Mario Puzo. Seinen Weltbestseller „Der Pate“. mit Marlon Brando genial verfilmt, kennen alle. Sein zweites wichtiges Buch heißt „Die Familie“ und handelt von den Borgias.
Mario Puzo findet viele Analogien zwischen den Borgias und den Corleones: den totalen Machtanspruch der Familie, die gnadenlose Bestrafung von Versagern und den Macho-Charakter der Männer. Wie viele Borgia-Forscher stützte sich Mario Puzo auf eine Quelle direkt im Vatikan. Der Straßburger Johannes Burckhard amtierte für Alexander VI als Protonotar und Zeremonienmeister.
In seinem Notizbuch „Liber notarum“ schilderte er ausführlich alle Gespräche, Abläufe und Ereignisse um seinen Herrn. Er ließ keinen Skandal aus und verwertete auch, was ihm Beichtväter aus St. Peter anvertraut hatten. Für diesen Geheimnisverrat belohnte er sie mit besseren Platzierungen bei Messen, Hochzeiten und Beerdigungen.
Schon damals wurde erbittert um die Plätze in der ersten Reihe gekämpft. Wer an welcher Stelle gehen oder sitzen durfte, konnte für seine Karriere Pluspunkte sammeln. Die Botschafter buhlten um die Nähe zum Papst. Management durch Tischordnung.
Johannes von Burckhard notierte auch viel Kritisches. Die Besuche von Prostituierten im Vatikan waren ihm zuwider, und vor allem störte es sein Hierarchiegefühl, dass der Papst seiner 21jährigen Tochter Lucrezia während seiner Abwesenheit die Amtsgeschäfte im Vatikan übertrug. Später setzte er sie auch als Gouverneurin von Spoleto ein – immer nach dem Grundsatz „Blut ist dicker als Wasser“. Zeitweise hatte Alexander VI dreihundert Verwandte an Schaltstellen seiner Herrschaftsbereiche untergebracht. Sein wichtigster Mitstreiter, intelligent, brutal und gerissen, war sein Sohn Cesare. Er vollstreckte, was der Vater angeordnet hatte. Mit Schwert und Gift und manchmal auch mit bloßen Händen räumte er alle aus dem Weg, die das Familienreich hätten stören können.
Wegen seiner grausamen Kriegsführung wurde er mehr gefürchtet als sein Vater, der als Schreibtischtäter dem Volk nicht so auffiel. Nur die gebildeten Stände wussten, dass Alexander VI der Inquisition in seinem Heimatland Spanien ein brutaleres Vorgehen erlaubte und dass er in Deutschland die katholische Buchzensur einführte. Er wollte als Reformer in die Kirchengeschichte eingehen, bleib aber nach elf Jahren Amtszeit derjenige Stellvertreter Gottes auf Erden, dem nachgesagt wurde, er sei ein Abgesandter des Teufels – der leibhaftige Antichrist.
Der Nachruhm seines Sohnes Cesare ist von positiverer Art. Friedrich Nietzsche sah in ihm ein Vorbild für den Typus seines „Übermenschen“, Oscar Wilde verwendete Züge von Cesare für sein „Bildnis des Dorian Gray“, und Niccolo Machiavelli rief ihn gar zum perfekten Machtmenschen aus. Machiavelli hat in einer Kanzlei in Florenz für Cesare gearbeitet und ihn für seine Effektivität bewundert. Sein berühmtes Buch „ Der Fürst“, heute noch in vielen Variationen als Ratgeber für Manager verkauft, handelt in einem Kapitel von Cesare Borgia. Machiavelli analysiert, dass die Kirche ihre Aufgabe als Machtinstrument verloren hat, und dass die Staatsräson an ihre Stelle getreten ist.
Weil Cesare seine Staatsziele als Löwe und Fuchs zugleich verfolgte, sei er das Vorbild des vollendeten Staatsmanns. Viele Manager und Politiker, die nach außen ethische Prinzipien predigen, im Hinterkopf aber an die Machiavellistischen Effektivitätsregeln denken, ahnen nicht, dass ihre Maximen von einem grausamen Krieger abgeleitet sind. Kürzlich ist sogar eine Anleitung „Machiavelli für Frauen“ erschienen. Dazu zählt die Empfehlung, es sei sicherer, gefürchtet als geliebt zu werden. Machiavellis Erkenntnis: die Menschen seien „undankbar, wankelmütig, unaufrichtig, heuchlerisch, furchtsam und habgierig“.
Während Cesares Durchsetzungsmethoden noch immer verkauft und ernsthaft diskutiert werden, existiert die Familie als Machtprinzip nur noch in Diktaturen. Was Alexander VI aufgebaut hatte, zerfiel schnell nach seinem Tod. Seine Nachfolger jagten die Familienmitglieder aus ihren Positionen. Cesare fiel in einem unwichtigen Krieg, nur Lucrezia hielt als Mäzenin Hof bis zu ihrem frühen Tod.
Der schnelle Machtzerfall der alles beherrschenden Familie liest sich wie ein Lehrstück über das derzeitige Ende von Familiendiktaturen.
Wie die Borgias haben die Husseins, die Mubaraks und die Gaddafis vorsorglich wichtige Schlüsselpositionen mit vermeintlich ergebenen Familienmitgliedern besetzt, aber der Nepotismus erweist sich als schwache Regierungsform, wenn das Volk rebelliert. Clans können sich nur in Diktaturen behaupten, nicht bei freien Wahlen.
Helmut Markwort ist Herausgeber des Nachrichtenmagazins FOCUS und wirkt in der Dokumentation über den „Fall Borgia“ mit, die das ZDF am Mittwoch, 19.Oktober, um 22.15 Uhr ausstrahlt.